Das Health Literacy (Gesundheitskompetenz) Konzept wurde in der Mitte der 70er Jahre in Amerika entwickelt als Personen mit geringen Gesundheitskompetenzen als „Risiko“ eingestuft wurden.
Grundsätzlich war man in dieser Zeit davon ausgegangen, dass die alleinige Verantwortung über die eigene Gesundheitskompetenz bei der jeweiligen Person selbst liegt.
Im Laufe der Jahre hat sich diese Ansicht aber grundlegend geändert und es wurden neue Ansätze (z.B.: Nutbeam, 2001) in Bezug auf die gesundheitlichen Kompetenzen der Bürger geschaffen. Es wurde damit begonnen, die Anforderungen, die das Gesundheitssystems an jeden von uns stellt, zu reduzieren und gleichzeitig wurden Fördermaßnahmen gesetzt, die das Ziel hatten, individuelle Gesundheitskompetenzen zu verbessern.
Health Literacy in Österreich
Unser Gesundheitssystem stellt uns zunehmend vor höhere Herausforderungen. Wir sollen selbständig agieren, regelmäßig unsere Vorsorgeuntersuchungen einplanen, uns gesund ernähren und auch Sport betreiben. Sofern uns Medikamente verschrieben wurden, so sollten wir diese wie verordnet einnehmen und wenn möglich, Generika teuren Medikamenten vorziehen. Viele Menschen, vor allem Ältere und Personen mit chronischen Erkrankungen, sind aber nicht (mehr) in der Lage diesen Forderungen nachzukommen, denn es fehlen ihnen die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Vereinfacht ausgedrückt, es mangelt ihnen an entsprechenden Gesundheitskompetenzen. Gerade im deutschsprachigen Raum ist das Konzept der Gesundheitskompetenz noch relativ neu, daher finden sich im österreichischen Gesundheitssystem nur wenig breit angelegte Fördermaßnahmen. Unter Berücksichtigung des demographischen Wandels (Überalterung der Bevölkerung) und der Zunahme von chronischen Erkrankungen sollten Maßnahmen zur Verbesserung der jetzigen Situation ergriffen werden. Aus einer kürzlich veröffentlichten Studie ist ersichtlich, dass es bis dato in der Steiermark keine derartigen Maßnahmen gegeben hat (Bachler, 2011).
Literacy![Die Lesestärke der Kinder verbessern]()
Vereinfacht ausgedrückt beschreibt es die Fähigkeit lesen und schreiben zu können. Wikipedia wiederum umschreibt es als die Fähigkeit durch lesen Wissen zu erwerben, richtig schreiben zu können und kritisch über gedruckten Text zu denken.
Die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization,2003) definierte Literacy als die Fähigkeit des Erkennens, des Verstehens, des Interpretierens, des Erschaffens, der Kommunikation, des Anwendens und der Verwendung von geschriebenen und gedruckten Unterlagen in unterschiedlichen Kontexten.
Health Literacy - Der Begriff
Der Begriff Health Literacy stammt ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum und wird im deutschen Sprachraum zumeist mit Gesundheitskompetenz aber auch mit Patientenkompetenz, Handlungskompetenz, Gesundheitserziehung, Gesundheitsmündigkeit, Befähigung zur Gesundheit oder (Selbst) - Kompetenz übersetzt.
Health Literacy ist ein relativ neues Konzept im Bereich von Public Health und als ein Ziel der Gesundheitsförderung zu bezeichnen.
Eine einheitliche Definition liegt bisher noch nicht vor, da es eine ständige Weiterentwicklung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen gibt. Es wird daher empfohlen, nicht von einem Begriff, sondern viel mehr von einem Konzept auszugehen.
Drei bekannte Definitionen sollen an dieser Stelle genannt werden:
WHO, Health Promotion Glossary: „Health literacy represents the cognitive and social skills which determine the motivation and ability of individuals to gain access to, understand and use information in ways which promote and maintain good health.“ (WHO,1998).
National Library of Medicine (USA): „The degree to which individuals have the capacity to obtain, process, and understand basic health information and services needed to make appropriate health decisions.“ (Ratzan & Parker, 2000).
Kickbusch, Ilona: Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit des Einzelnen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken – zu Hause, in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, im Gesundheitssystem, im Markt und auf politischer Ebene. Gesundheitskompetenz ermächtigt Personen zur Selbstbestimmung und zur Übernahme von Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit bezüglich ihrer Gesundheit. Sie verbessert die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen (Kickbusch, 2006).
Die Weiterentwicklung des Begriffes
Eine Weiterentwicklung des WHO-Konzeptes erfolgte durch Don Nutbeam (2000). Seiner Ansicht nach gehört Health Literacy in drei aufeinander aufbauende Ebenen untergliedert.
Die unterste Ebene ist die funktionale Ebene, sie beinhaltet die grundlegenden Lese- und Schreibkompetenzen. Erst dadurch wird es uns möglich, einfache gesundheitsrelevante Informationen aufzunehmen und sie zu verstehen, um damit zu einem passiven Bestandteil unseres Gesundheitssystems zu werden.
Auf die funktionale Ebene baut die interaktive Ebene auf. Um ein aktiver Bestandteil des Gesundheitssystems zu werden, ist es notwendig, über umfangreiche Lese- und Schreibkompetenzen sowie kognitive Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu verfügen. Die Summe dieser Faktoren erlaubt es uns, gesundheitsrelevante Informationen aus unterschiedlichen Medien zu filtern und zu verstehen. Somit können wir auf veränderte Alltagsbedingungen reagieren und ständig neues Wissen generieren. Durch die damit erreichte Befähigung zum eigenverantwortlichen Gesundheitshandeln wird diese Ebene auch als Empowerment-Ebene bezeichnet.
Die dritte und letzte Stufe stellt die kritische Ebene dar. Auf dieser sollen Gesundheitsinformationen und vorhandene Empfehlungen nicht mehr willkürlich hingenommen, sondern verstärkt hinterfragt werden. Personen tauschen sich hier bereits aktiv mit dem vorhandenen Gesundheitssystem aus und verlassen somit ihre passive Rolle.
Health Literacy in Neuseeland
Länder wie beispielsweise Neuseeland halten vor allem an der Defintion der National Library of Medicine fest. Sie vertreten basierend auf der vorhandenen Definition den Standpunkt, dass nicht das Gesundheitssystem das Informationsangebot an die Bürger anpassen soll, sondern dass das System dafür sorgen muss, dass jeder Bürger einen geeigneten Zugang, das Verständnis und die Befähigung zum eigenständigen Handeln mit den zur Verfügung gestellten Informationen bekommt (New Zealand, 2011).
Wird in diesem Zusammenhang von Health Literacy gesprochen, so sind damit nicht mehr nur die Fähigkeiten zum Zuhören, Sprechen, Lesen, Schreiben und Rechnen im gesundheitsrelevanten Kontext gemeint. Bezug wird hier viel mehr auf die Verwendung all dieser und anderer Fähigkeiten für die Analyse und Entscheidungsfindung im Gesundheitssystem, im Zugang und Verständnis von Gesundheitsinformationen und im Treffen von gesundheitsrelevanten Entscheidungen genommen.
An dieser Stelle möchte ich auch die neuseeländische Auslegung für Literacy niederschreiben. Wenn in Neuseeland von Literacy gesprochen wird, so schließt das auch den Begriff Health Literacy mit ein und beschreibt nicht nur den Vorgang des Lesens und Schreibens. Viele Menschen mit geringer Literacy sind durchaus in der Lage Wörter, kurze Sätze und einfache Rechnungen zu bewerkstelligen. Sollte der Schwierigkeitsgrad bei diesen Aufgaben jedoch steigen, so werden diese Personen diese nicht mehr lösen können. Die Folgen sind, dass der Inhalt des Gelesenen nicht mehr vollständig erfasst werden kann. Somit sind sie nicht mehr in der Lage, die angebotenen Informationen und Empfehlungen in deren täglichen Leben richtig einzusetzen. Teilweise kompensiert wird diese Erscheinung durch die Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien.
Literacy verlangt somit nach einer großen Bandbreite an verschiedenen Fähigkeiten. Der Besitz dieser ermöglicht es die Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen und das der Familienangehörigen bestmöglich zu meistern. Genauso umfasst Health Literacy auch die Kenntnis im Umgang mit Zahlen, die Kenntnisse über Rechenschritte als auch die dazugehörige Interpretation der Ergebnisse.
Health Literacy Messverfahren
Bisher gibt es keine vereinheitlichten Instrumente zur gesamten Erfassung aller drei Health Literacy Ebenen (funktional, interaktiv und kritisch). Bestehende Ansätze erfassen vorwiegend die funktionale Ebene, die anderen bleiben vielfach unbeachtet.
In Nordamerika wurden Literacy Erhebungen (z.B.: The Young Adult Literacy Survey, 1985) schon seit längerer Zeit durchgeführt, vielfach blieb dabei die gesundheitliche Betrachtung ausgespart. Mit dem National Adult Literacy Survey 1992 (NALS) wurde herausgefunden, dass etwa ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung eine unzureichende Lese- und Schreibkompetenz aufweist (Kirsch et al. 1993). Derartige Erhebungen sind deswegen von Bedeutung, da die gewonnenen Informationen über die Lese- und Schreibfähigkeiten einen Aufschluss über die Gesundheitskompetenzen dieser Personen zulassen. Ein genauer Rückschluss lässt sich hier aber noch nicht ziehen, daher kommt an dieser Stelle das Health Literacy Konzept zum Tragen. Health Literacy selbst ist eine von vielen Einflussfaktoren (Determinaten) auf die Gesundheit, sie kann aber helfen, einen möglichen Zusammenhang zwischen Literacy und Gesundheit zu erklären.
Messverfahren:
REALM: Rapid Estimate of Adult Literacy in Medicine
Ein Test der realativ schnell anwendbar ist vor allem die Lesefertigkeiten überprüft (Davis et al., 1993).
TOFHLA: Test of Functional Health Literacy
Eher zeitaufwendig, daher findet vielfach der schnellere S-TOFHLA Test Anwendung. Auch hier werden vorwiegend die Lesekompetenzen überprüft, Fähigkeiten im Zusammenhang mit Sprechen und Zuhören werden nicht erfasst (Parker et al., 1995).
HALS (Health Activities Literacy Scale)
Im National Adult Literacy Survey (NALS) und dem International Adult Literacy Survey (IALS) wurden Fragen verwendet, die Rückschlüsse auf die Gesundheitskompetenzen der Befragten zuließen. 191 dieser Fragen wurden dann gesondert in der HALS zusammengefasst (Rudd et al., 2004).
NAAL (National Assessment of Adult Literacy )
Ein aus mehreren Komponenten bestehender Test, der Bereiche wie Prävention, Klinik und Wissen über das vorhandene Gesundheitssystem abgefragt (http://nces.ed.gov/naal/).
Früher wurden vor allem REALM und TOFHLA verwendet, dadurch konnten die vorhandenen Lese- und Schreibfähigkeiten mit den Anforderungen, die durch das gesundheitsrelevante Informationsangebot gestellt wurden, verglichen werden. Die Auswertung hat gezeigt, dass die Personen vielfach die vorhandenen Informationen nicht verstanden haben. Diese Verfahren haben aber auch dazu gedient, festzustellen, dass eine Verbindung zwischen Health Literacy und den unterschiedlichsten Gesundheitszuständen besteht. (Dorotha.b, 2011).
Auswirkungen geringer Health Literacy
Personen mit mangelhafter Gesundheitskompetenz
- nehmen seltener präventive Gesundheitsangebote war.
- haben zumeist weniger Wissen über ihre Erkrankung, ihre Behandlung und ihre verschriebenen Medikamente.
- erkennen seltener erste Anzeichen einer Erkrankung.
- sind seltener in der Lage, ihre chronische Erkrankung alleine zu meistern.
- können ihre Anliegen nur schwer Gesundheitsexperten vermitteln.
- werden häufiger wegen einer chronischen Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert.
- nehmen öfters die Leistungen von Erstversorgungseinrichtungen in Anspruch.
- verletzen sich öfters am Arbeitsplatz (Kōrero, 2010).
- führen zu höheren Belastungen des Gesundheitsbudgets.
Das Risiko, über eine besonders niedrige Gesundheitskompetenz zu verfügen ist besonders ausgeprägt bei Personen
- mit einem höheren Alter.
- ohne festen Arbeitsplatz.
- mit verminderten Einkommen.
- wenig Bildung / niedrigen sozialen Status.
- mit Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit.
- bei Migrationshintergrund.
Fördermaßnahmen
Nutbeam und Kickbusch bezeichneten den Ausbau der individuellen Gesundheitskompetenzen als globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts (Nutbeam & Kickbusch, 2005).
Health Literacy ist nicht nur ein Einflussfaktor, der sich auf den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten auswirkt, sondern auch eine Fähigkeit, die eine aktive Mitgestaltung von gesundheitsfördernden und präventiven Maßnahmen erlaubt.
Health Literacy wird vorwiegend durch Bildungsprozesse erworben, weiters spielen auch die sozialen, kommunikativen und kulturellen Einstellungen und Wahrnehmungen in der Gesellschaft eine große Rolle. Förderpotential ergibt sich nicht nur durch das soziale Umfeld jedes einzelnen, sondern auch durch die Wirtschaft, Politik und das Gesundheitssystem selbst. Nach Herstellung passender Rahmenbedingungen ist darauf zu achten, dass die Förderprogramme auf die einzelnen Bildungsgruppen und unter Beachtung von Geschlecht und Migrationsstatus hin ausgerichtet werden (Abel & Duetz-Schmucki, 2004). Unspezifische bzw. allgemeine Förderprogramme ohne Fokus auf eine Zielgruppe weisen zumeist nur eine geringe Effektivität auf.
Auf Betreiben der EU wurden die Initiativen „Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003–2008)“ und „Informationsgesellschaft“ gestartet, beide zielen auf die Stärkung und aktive Mitarbeit der Bevölkerung ab. Am EU-Projekt „Migrant-Friendly Hospitals“ haben sich 12 EU-Länder mit jeweils einem Krankenhaus beteiligt. Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, vor allem die Gesundheitslage und Gesundheitskompetenz der Migranten zu verbessern.
Im Frauengesundheitszentrum (FGZ) Graz, finden im Rahmen der Veranstaltung „Wissen macht stark und gesund“ Schulungen und Kompetenztrainings für Frauen statt. Die ausgebildeten Frauen sollen dann in ihrer Umgebung das erworbene Wissen weitergeben und als Multiplikatorinnen fungieren.
Weiters bietet die URANIA Vorträge zur Steigerung des Wohlbefindens durch eine verbessertere Gesundheitskompetenz an. Die Teilnehmer erfahren über die Bedeutung von Health Literacy, wie effektiv und schnell nach hochwertigen Informationen gesucht werden kann und bekommen einen ersten Einblick in die kritische Erfassung von Zahlenangaben. Die Einheiten werden vom Autor dieses Newsletters, Riegler Alexander, abhalten.