Um weiterhin gesund zu bleiben, muss man das komplexe Zusammenspiel von Gesundheit und Krankheit sowie deren Einflussgrößen verstehen können. Wenn und das gelingt, dann können wir wesentlich kritischer gegenüber gutgemeinten Empfehlungen und Ratschlägen in Erscheinung treten. Es sollte für uns leichter werden, irreführenden Werbeversprechungen der Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie zu widerstehen.
Wer kennt nicht die oft zitierte Lebensformel: "Gesunde Ernährung, kein Alkohol, reichlich Sport, kaum Stress und regelmäßig beim Arzt vorstellig werden."
Würden wir uns an das halten, so sollte zumindest dem Inhalt der zuvor genannten Aussage nach einem langen Leben nichts mehr im Wege stehen.
Es steht außer Frage, dass wir durch unser individuelles Verhalten unseren Gesundheitszustand aktiv beeinflussen. Je mehr Risiken wir eingehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, am Ende einen Schaden davon zu tragen. In der Finanzwelt ist es schließlich auch nicht anders. Bevor wir uns die verschiedenen Einflussfaktoren ansehen, untersuchen wir den Mythos Lebensstil. Warum Mythos? Weil der vielbesagte Lifestyle nur bedingt unser Leben verbessern kann. Dieser Abschnitt soll dazu beitragen, ein besseres Verständnis für den Begriff „Gesundheit“ zu bekommen und gleichzeitig soll gezeigt werden, dass es selbst in einem so hoch entwickelten Land wie Österreich mit einem ausgeprägten Sozialsystem noch immer soziale Ungleichheiten gibt. Wer sich mit dem Thema Gesundheitskompetenz auseinandersetzt, der muss erkennen können, dass Ungleichheiten nicht nur die betrifft, die diesen ausgesetzt sind, sondern Auswirkungen auf alle von uns haben. Es darf nicht länger alleine in der Verantwortung der Politiker liegen, Verbesserungen zu erwirken, sondern auch wir Wähler müssen danach trachten, die gesellschaftliche Benachteiligung unserer Mitbürger zu reduzieren und zu verhindern.
Am Ende des Kapitels werden Sie erkennen, dass selbst das beste oder teuerste Gesundheitssystem nur einer von vielen Bausteinen ist, der darüber entscheidet, ob wir gesund oder krank bzw. kurz oder lange leben.
Mythos Lebensstil![Urlaub vom Urlaub]()
Viel zu oft werden der genetische Einfluss und der gewählte Lebensstil eines Menschen in seiner Wirkung überschätzt. Umfangreiche Studien im Bereich der Sozialmedizin haben herausgefunden, dass der Lebensstil die vermeidbare Sterblichkeit eines Menschen nur zu rund 10 Prozent beeinflusst. Wesentlich wichtiger sind die auf den Körper einwirkenden gesellschaftlichen Faktoren, auf diese wird im nächsten Abschnitt detaillierter eingegangen. Zu den gesellschaftlichen Faktoren zählen vor allem das persönliche Einkommen, der Bildungsstand, die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und der eigenen Wohnsituation sowie das soziale Netzwerk. Sind diese Faktoren stark ausgeprägt und Stresssituationen können gut bewältigt werden, dann treten nachweislich seltener Erkrankungen auf.
Die Politik setzt vornehmlich auf die verstärkte Eigenverantwortung (Gesundheitskompetenz) der Bürger in Gesundheitsfragen. Außer Acht gelassen wird hierbei, dass es Faktoren gibt, die sich dem eigenen Verantwortungs- und Ermessensbereich entziehen. Inwiefern diese aber zur Ausprägung kommen und eine nachteilige Wirkung entfalten ist von Person zu Person aufgrund der jeweiligen Lebensrealitäten (Lebenssituation) unterschiedlich.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Bei gleichem Tabakkonsum versterben Raucher mit einem geringeren Einkommen früher als Raucher mit einem hohen Einkommen. Wohl gemerkt, der Rauchkonsum ist gleich! Woran kann das liegen? Möglicherweise lebt der Raucher aufgrund seines geringen Einkommens an einer stark befahrenen Straße und atmet in Folge der dortigen Feinstaubbelastung weitere Schadstoffe ein. Die Vergleichsperson wiederum ist im oberen Management tätig und hat ein kleines Häuschen am Land, fern ab vom Verkehr.
Selbst das Immunsystem kann durch unsere gesellschaftliche Stellung beeinflusst werden. Aktive Freundschaften und eine Vielzahl an sozialen Kontakten aktivieren und stärken das Immunsystem. Glück und Zufriedenheit bringen somit eine gewisse Gesundheit mit sich. Im Gegensatz dazu wirken ständiges Selbstmitleid und Isolation negativ auf den Organismus ein.
Wissenschaftler haben einen weiteren wichtigen Einflussfaktor analysiert - es die Postleitzahl! Menschen, die in Bezirken leben, die als wohlhabender eingestuft werden, leben länger als Personen, die ärmeren Bezirken zugerechnet werden können. Die Gründe dafür sind hierbei wiederum hauptsächlich das Einkommen und die berufliche Stellung.
Initiativen, die sich für mehr Sport oder den gesunden Apfel einsetzen, sind zwar lobenswert, aber keine Freikarte zu einem längeren Leben. Wenn Sie sich daran beteiligen, so wird es nicht Ihr Nachteil sein, jedoch auch kein übermäßiger Gewinn. Der Fokus solcher Programme ist oft zu klein, denn es werden vielfach nur die Symptome eines Problems bekämpft. Die eigentliche Problemstellung bleibt oft aufgrund von begrenzten Möglichkeiten außer Acht gelassen. Initiativen müssen daher allumfassend ausgerichtet werden. Aufgrund der komplexen Anforderungen und der dafür notwendigen Finanzmittel ist das nur sehr selten möglich.