Fitness-Hypes, Diätwahn und das normale Streben nach ewiger Gesundheit
In meinen Beiträgen widme ich mich vorwiegend dem Thema Lebenstil-Mythen. Es handelt sich hierbei um ein Profil-Interview von Robert Buchacher mit dem deutschen Arzt, Psychiater und Theologen Manfred Lütz mit dem Titel “ Wir sind Sklaven der Gesundheitsreligion“.
Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich hierbei auf die Äußerungen von Herrn Lütz und sollten ein wenig zum Nachdenken anregen.
Der Mythos Lebensstil
Unserer aktuellen Gesundheitsreligion folgend, möchte jeder von uns fit bis ins hohe Alter bleiben. Dieses Bestreben ist grundsätzlich nicht zu verurteilen, wir müssen uns aber darüber bewusst sein, dass die genetische Ausstattung eines jeden Menschen wesentlich dafür ist, wie alt eine Person wird. Es steht außer Frage, dass auch andere Faktoren einen Einfluss haben.
Herr Lütz empfiehlt daher mit einem Augenzwinkern allen, die alt werden möchten, sich die richtigen Eltern zu suchen. Nachdem sich die Gene aber nicht durch eine erhöhte Aktivität (z.B.: Sport) beeindrucken lassen, sind der Lebensstil und unsere Gesundheit bloß zu 30 Prozent für unsere Gesundheit verantwortlich. Menschen sollten sich dessen bewusst werden und wieder richtig leben. Viele haben einen Lebensstil gewählt, der auf die reine Prävention/Vorbeugung von Krankheiten abzielt. Möglicherweise sterben diese dann gesund, sind aber trotzdem tot. Besonders interessant findet Herr Lütz die Menschen, die ständig im Wald laufen gehen und dabei den Wald als einen Erholungsort gar nicht mehr wahrnehmen und nur stur ihr Wellness-Programm abarbeiten. Andere gehen dafür ins Fitnessstudio und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie einen Tag nicht dort gewesen sind.
Kliniken anstatt von Kathedralen
Im Zuge seiner Arbeiten hat er auch einen interessanten Satz geprägt: „Unsere Vorfahren bauten Kathedralen, wir bauen Kliniken.“ Wie beten heute oft (selbsternannte) Gesundheitsgurus oder Gesundheitspäpste an und legen größten Wert auf unsere Gesundheit und Schönheit. Wenn Herr Lutz satirisch Stellung zum Thema Gesundheit nimmt, so stellt er als Arzt den verantwortungsbewussten Umgang mit der eigenen Gesundheit natürlich nicht in Abrede, akzeptiert auch die Aussage, dass die Gesundheit ein hohes Gut ist, aber eben nicht das Höchste. Es muss jedem erlaubt sein, gelegentlich einmal richtig ungesund (viel Cholesterin, Fett, Zucker usw.) zu essen.
In Deutschland wird in Kürze ein Präventionsgesetz in Kraft treten, dieses möchte die Deutschen in gewisser Weise dazu zwingen, gesund zu sein/zu werden/zu bleiben. Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Gesundheit das höchste Gut ist, dann müssen wir die Gesundheitspolitik daran ausrichten und alles unternehmen, damit dieses Ziel erreicht werden kann. Das ist dann aber mit hohen Ausgaben verbunden. Ist dieses Ziel aber überhaupt erreichbar und erstrebenswert? Ist die Politik nicht eigentlich eine Kunst des Abwägens? Haben wir einen falschen Gesundheitsbegriff?
Die Weltgesundheitsorganisation hat die Gesundheit einst als „völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“ definiert. Ein solcher utopischer Gesundheitsbegriff regt vor allem ökonomische Interessen an, denn wäre Gesundheit als Ziel wirklich erreichbar, so kann daran auch etwas verdient werden.
Schon der griechische Philosoph Epikur trat für eine Bedürfnisbefriedigung ein, jedoch unter dem Vorbehalt, dass dies unter Einhaltung eines gewissen Maßes geschieht. Unser Leben ist viel zu kurz, wir sollten daher die Zeit nicht unnötig damit verbringen, den Tod zu vermeiden. Wäre die Zeit, die wir in Fitnessstudios oder Wellnesseinrichtungen verbringen, nicht sinnvoller mit der Familie eingesetzt?
Im Sinne von Public Health wird oft von verlorenen gesunden Lebensjahren gesprochen. Chronische Krankheiten und Schmerzen reduzieren die gesunde Lebenszeit – diese Berechnungen machen Sinn und erhöhen die Vergleichbarkeit von Lebenserwartungen in unterschiedlichen Bevölkerungen. Sollen wir unser Leben aber der Aufgabe widmen, möglichst viele gesunde Lebensjahre zu erreichen und dafür unsere gesamte Aufmerksamkeit einer Gesundheitsreligion oder einem Gesundheitsfanatismus anvertrauen? Widmen wir unser Leben lieber dem Erreichen von Zielen und Selbstkasteiung? Mediziner werden noch immer oft als Halbgötter verehrt, Diätbewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen übers Land und die Fitnesstempel erfreuen sich über regen Zuwachs. Inzwischen haben die Fitnessstudios mehr Zulauf als die Sonntagsmesse in Deutschland.
Die oben angeführten Aussagen sind dem Profil-Interview mit Herrn Manfred Lütz entnommen, dienen der inhaltlichen Ergänzung des Blogs und sind nicht Meinung des Schreibers/Website-Eigentümers.